Die Situation von Landgemeinden war Thema in Halle
Wer im ländlichen Raum lebt, kennt die Probleme: kaum Einkaufsmöglichkeiten, wenige Ärzte, Schulen oder Kindergärten, rare Arbeitsmöglichkeiten. Und Abwanderung. Vor allem Letzteres trifft mit noch größerer Härte auch die Kirchengemeinden. Im Vergleich zur allgemeinen Abwanderung ist der Verlust an Kirchenmitgliedern höher, die Kirchen schrumpfen dreimal schneller als die Dörfer und Städte in Mitteldeutschland.
Die Teilnehmer setzten sich mit der Gegenwart und Zukunft von Kirche auf dem Lande auseinander. Foto: Stefan Körner
Wie mit der Situation umzugehen sei, war Thema eines Fachtages Gemeindeentwicklung am 11. April in Halle. Mit großer Resonanz. Rund 90 Pfarrerinnen und Pfarrer diskutierten über Perspektiven kirchlichen Handelns im ländlichen Raum. Dass die Situation oft nicht zu Euphorie einlädt, wurde durch den Demografie-Experten Manuel Slupina vom Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung unterstrichen. In so manchen Regionen sei durch Wegzug, Ausdünnung von Infrastruktur und Überalterung eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt worden, die kaum mehr aufzuhalten ist. Doch auch angesichts demografischer Hiobsbotschaften gebe es Lichtblicke. Manche Dörfer wachsen gegen den Trend, und vor allem das Gefühl, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, setze oft Innovationskräfte und Engagement frei. Wo solche Kräfte walten, sei ein Dorf noch nicht am Ende.
Eine Lösung für alle könne es darum nicht geben, so Thomas Schlegel, Kirchenrat im Dezernat Gemeinde der EKM und zweiter Referent des Fachtages. In den vergangen Jahren seien die Strukturen immer nur angepasst, aber nie hinterfragt worden. »Das System beginnt zu reißen. Vielfach können Pfarrer auch das Grundprogramm der Gemeindearbeit nicht mehr bedienen«, meint Schlegel. Das heißt: Die bestehenden kirchlichen Strukturen gehören dringend reformiert, da sie mitunter innovative Gemeindekonzepte nicht nur im ländlichen Raum eher behindern als fördern. Darum will die Kirchenleitung nach Auskunft von Thomas Schlegel noch im laufenden Jahr Erprobungsräume schaffen, in denen Pfarrerinnen und Pfarrer alternative Gemeindemodelle erproben könnten. Über kurz oder lang werden sich, so Schlegel, im gesamten Bereich der EKM die Strukturen ändern müssen: »Die Impulse, die von einem Fachtag wie diesem ausgehen, können nur bedingt in den bestehenden Strukturen umgesetzt werden.« Dazu aber seien Menschen nötig, die solche Änderungen auch wollen.
Daran scheint es zumindest zum Fachtag in Halle nicht zu mangeln, wenn mitunter auch skeptische Stimmen zu hören sind. »Es ist mir nicht klar, wie die Kirche solche Projekte finanziell und personell stemmen will«, meint Anna Mittermayer, Vikarin in Krina (Kirchenkreis Wittenberg). Aus ihrer Sicht werde hier in viel zu großen Schritten gedacht: »Solche Modelle stehen immer in der Gefahr, nach dem Auslaufen der Projektmittel wieder einzuschlafen.«
Auch Dorothea Heizmann, Pfarrerin im Kirchenkreis Südharz, sieht strukturellen Handlungsbedarf: »Es gibt jetzt schon gute Ideen in Gemeinden, die aber oft an mangelnder Unterstützung oder den Strukturen scheitern.« Aber auch das Denken in den Gemeinden selbst wird als Problem erkannt. Christiane Kellner, Superintendentin in Merseburg, glaubt, dass manche Gemeindeglieder zu oft der Vergangenheit nachtrauern. »Ich habe das Gefühl, wir sind in einer Art Schockstarre, weil vieles nicht mehr so weitergeht wie bisher. Und so manche Engagierte ziehen sich zurück, wenn sie merken, dass sie nichts bewegen können, weil es Kräfte gibt, die zu sehr am Bestehenden hängen.« Gerade in einer solchen Situation sei es aber wichtig, quer zu denken und sich von alten Vorstellungen zu verabschieden. Veränderung beginne im Kopf, so Kellner.
Stefan Körner, Glaube und Heimat, 21-04-2014